Spotlight: Christoph Schneeberger

Autor: Dino Dragic-Dubois

Christoph Schneeberger, auch bekannt unter seinen Künstlernamen X Schneeberger, X Noëme oder Kris Kiss ist ein Schweizer Autor, Performer und Künstler. Geboren 1976 in Vogelsang (AG) fand er bereits in frühen Jahren die Faszination für Kunst und Nachtleben in einem politischen Kontext. So stand Schneeberger schon vor der Volljährigkeit für erste Drag-Performances auf der Bühne, organisierte eine der europaweit ersten Tribal Trance Partys im Kuba Baden und war verantwortlich für die nationale Koordination der Jugendbewegung «Solidarität mit bosnischen Flüchtlingen». Im Rahmen dieser Tätigkeit reiste er mehrmals nach Bosnien, um sich selbst ein Bild vor Ort machen zu können – in dieser Zeit entstanden Fotografien, die Schneeberger zwei Jahre später in Zürich ausstellen sollte. Nebst aktivistischen Tätigkeiten verstand er es immer, innovativ zu sein – so wurde seine 6-teilige Lecture-Performance (den Begriff gab’s damals wohl noch gar nicht) im «forum claque» Baden bereits 1998 live gestreamt, um auch internationales Publikum und Menschen, die nicht lokal vor Ort teilnehmen konnten, zu erreichen.

Mit 23 Jahren zog es Schneeberger dann, wie so viele Aargauer, in den grossen Nachbarskanton mit dem pulsierenden Nachtleben und einer grossen alternativen Kunstszene. Auch dort fand er schnell eine Galerie, die seine Werke ausstellte, konnte in renommierten Clubs wie der Spider Galaxy Drag-Performances vorführen und veranstaltete weiterhin schillernde Partys – z. B. im Fetischclub Aera, wieder unter Zuhilfenahme von Kameras für einen interaktiven Livestream, der vor Ort und im Netz einsehbar war und die Gäste in den verschiedenen Räumen dazu einlud, Teil einer kollektiven Performance zu Inszenierung vs. Überwachung zu werden.

Nach einer intensiven Zeit in Zürich folgte ein längerer Aufenthalt in Los Angeles. Einer seiner Leidenschaften, dem Fotografieren, ging Schneeberger auch dort nach. Eine andere Leidenschaft, nämlich das Schreiben zusammenhängender, längerer Texte & Geschichten, verfestigte sich in der Stadt der Engel.

Nach der Rückkehr nach Zürich folgte Paris – einer Stadt, der sich Schneeberger noch heute verbunden fühlt und Kontakte pflegt. Wie in jeder Stadt, in die es den Künstler in seinem bisherigen Leben zog, wurden seine Fotografien auch in Paris erfolgreich in Galerien ausgestellt.

Vor dem Erreichen seines dreissigsten Lebensjahres, nach dem Überleben der wilden Partys der Jahrtausendwende, kamen für Schneeberger dunkle Zeiten. Existenzielle Ängste in mehreren Phasen und einschneidende Lebenskrisen plagten den umtriebigen Künstler, was im mehrfachen, zwangsweisen Niederlegen seiner künstlerischen Tätigkeiten mündete.

Nachdem sich Schneeberger wieder fangen konnte, studierte er 2008 – 2012 am Bieler Literaturinstitut. Mit dem Abschluss in der Hand führte ihn sein Weg zurück nach Zürich und damit zurück ins Leben. Er fand einen Wohn- und Atelierplatz im berühmt-berüchtigten Atelier «Audiovisuell» wo er sich nach langem endlich wieder zu Hause fühlte und neue Inspiration gewann – die Zeit an der Grubenstrasse bezeichnet er selbst als «künstlerisch sehr produktive Phase». Die Arbeit an der letzten Fassung von «Neon, Pink & Blue», seinem Roman, der 2021 mit einem der Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet wurde und an dem
er bereits über 10 Jahre am Schreiben war, begann er dort. Drei Jahre später ging es aus dem Künstler*innenhaus hinaus, nach Wädenswil, der Liebe geschuldet.

Die bisher letzte örtliche Station in Schneebergers Leben ist Bern – eine Stadt, in der er schnell Anschluss fand, sich zu Hause fühlt und – mindestens vorübergehend – sesshaft wurde. Begonnen hat seine Vitae in Bern mit dem CAP-Studium (Contemporary Art Practice) in Literatur, 2017-2019. Seit bald drei Jahren lebt und arbeitet er im Schwobhaus in der Berner Länggasse, beendete hier die Arbeit an seinem neuen Roman, erhielt nebst dem bereits erwähnten Literaturpreis das Weiterschreiben Stipendium der Stadt Bern und wurde auf der Hotlist unabhängiger deutscher Verlage geführt (beides 2020). Trotz turbulenten und intensiven Lebensabschnitten gab es immer Konstanten im Leben des Künstlers: sei es das politische Engagement, das Schreiben oder Fotografieren – doch ein weiterer ständiger und wichtiger Begleiter war und ist das Nachtleben, wo er auch in Bern schnell ein wichtiger Teil davon wurde – egal ob auf oder neben der Bühne.

Hintergründe zur Lecture-Performance «Boll’vue – Rues de la Folie»

Der Lecture-Performance mit dem Titel «Boll’vue – Rues de la Folie» liegt ein Text von Christoph Schneeberger – ursprünglich mit dem Titel «Instantbul» –  zu Grunde. Dieser Text entstand um die Jahrtausendwende in Zürich und wurde 2004 im «les complices*» aufgeführt. Der Text handelt von Liebesbeziehungen – kurzen, längeren, aber stets Nachtleben-Kontext. Die Geliebten werden als Sternchen betitelt – eines davon hat der Künstler aus den Augen verloren, ein anderes ist vermutlich verglüht, während ein weiteres Sternchen am Nachthimmel inzwischen erfolgreicher TV-Redakteur ist. Auch Autor*in ist ein Sternchen. Der Clou hinter dem Text: Mithilfe einer programmierbaren, analogen Musikdose, wird ein Lochstreifentext gelesen, der für jedes Sternchens einen Ton von sich gibt. Diese Musikdose hat Schneeberger mit ca. 7 Jahren von seinen Eltern geschenkt erhalten. Sie
begleitete ihn fast sein ganzes Leben – bis zum Zeitpunkt, wo die Dose mitten in einer Vorstellung in Paris kaputtging und damit den Auftritt zu einer mühsamen Anekdote verkommen liess. Mehrmals versuchte Schneeberger in den darauffolgenden Jahren, die Dose zu reparieren. Sie wurde nun für «Boll’vue» typengleich ersetzt.

Ziemlich schnell war für Schneeberger klar, dass sich dieser Text – leicht adaptiert – sehr gut eignet, um in der pandemischen Zeit vorgeführt zu werden. Er löst Nostalgie aus – persönlich-private beim Künstler, aber auch allgemeine, da er das Gefühl der Nacht, des Clubs wiedergibt.

Im Rahmen der Vorbereitung für die Aufführung im «soso» wurde vom Kuratorium die Zusammenarbeit mit weiteren Künstler*innen angeregt. Dies mündete schliesslich in einer erweiterten Lecutre-Performance mit Terry Remo Loosli am präparierten Flügel, Sebastian Lötscher an der Geige und Muud, die das Gelesene in einer Tanzperformance deutete. Um dem interdisziplinären Charakter des Projekts zusätzliches Gewicht zu verleihen entstand die Idee, Fotografien Schneebergers als Teil der Kulisse mit einzubeziehen. Bei den gewählten Werken handelt es sich um eine Reihe Bilder, die damals in Paris ausgestellt wurden und
unverkauft in einem Keller der Rue de la Folie-Méricourt lagerten – dort nahmen sie von Kondenswasser, dem Schweiss von Paris, einen «äusserst pittoresken» Schaden, der neue Werke mit hyper-Vintage Filter entstehen liess.